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Von Corina Gericke

Zwei junge Frauen in Trekking-Jacken und Wanderschuhen spähen von weitem durch die Tür und peilen gezielt das Schild mit den Eintrittspreisen an. Die Wolfstatzen auf ihrer Kleidung – Markenzeichen einer bekannten Outdoor-Firma – enttarnt sie unschwer als Deutsche. Das Mauscheln um eine mögliche Investition in ein Museumsticket ist ein weiteres Indiz. Deutsche sind dafür bekannt, dass sie die Krone dreimal umdrehen. Ich spreche sie an und erkläre, dass sie für die 300 Kronen (etwa 7,50 DM) eine Menge geboten bekommen. Sie sind sichtlich überrascht, in einem Walmuseum knapp unter 
dem Polarkreis eine Landsmännin anzutreffen und lassen sich schließlich überzeugen. Eine fünfköpfige Gruppe betritt das Museum in dicken Fleece-Goretex-Doppeljacken, Thermohosen, Trekkingstiefeln und Tagesrucksack – perfekt für eine mehrtägigen Grönlandexpedition ausgerüstet. Die Kommunikation mit 

ihnen gestaltet sich schwierig, sie sprechen nur französisch, eine Sprache, der weder meine Kollegin Elva noch ich mächtig sind. Wir rufen Richard herbei. Die Expeditionsteilnehmer sind überglücklich, endlich einem Menschen in Island zu begegnen, der nicht nur ihre Sprache spricht, sondern obendrein noch waschechter Franzose ist. 
Eine sommerlich gekleidete Familie, er in Jogginghose und T-Shirt und sie mit ärmellosem Top, im Gefolge eine Kinderschar, sind die nächsten Kunden. Das können nur Isländer sein. Helgi nimmt sich ihrer an. Walfangkritik sollte den Einheimischen lieber von Landsleuten näher gebracht werden.
Walbeobachtungsboot Náttfari ist gerade in den Hafen eingelaufen – jetzt wird es gleich voll im Museum. Schon schneit eine große Gruppe mittleren Alters herein – anhand der Sprache leicht als Briten zu identifizieren. Sie kommen gerade von der Tour und haben 3 Zwergwale und viele Delfine gesehen. Jetzt gibt's Arbeit für mich. Eine dankbare Aufgabe, die Gruppe durch das 
Großbildansicht Museum zu führen, denn Briten sind oft leicht zu begeistern. Ein ungläubiges 'Wow' geht durch Reihen, als ich ihnen davon erzähle, dass ein Blauwalbaby bei der Geburt schon sieben Meter misst und damit so lang ist, wie unser Skelett eines ausgewachsenen Zwergwals. Ich erläutere den Unterschied zwischen Barten- und Zahnwalen und gehe auf die Merkmale einzelne Arten ein. In der 
Hands-on-Kiste kann die glatte Haut von Walen angefasst und mit der  rauen von Haien verglichen werden. Durch eine massive Eisentür betreten wir den mit stilisierten Metallplatten und Nieten ausgestatteten Walfangraum, in dem man sich wie im Bauch eines rostigen Schiffes fühlt. Ich erzähle von der schrecklichen Geschichte des Walfangs und der Situation heute. Briten sind für ihr Interesse an Tieren bekannt. Ganz klar, dass sie gegen das blutige Gemetzel sind. Im Keiko-Zimmer sitzt die isländische Familie in der Kinderecke. Die Kleinen malen Keiko, den Star aus dem Film 'Free Willy'. Vater würde den Schwertwal lieber in Form von Fischstäbchen auf seinem Teller sehen. Da muss Helgi noch einiges an Überzeugungsarbeit leisten. "Meine" Gruppe erfährt das Neuste über das Projekt zur Freilassung von Keiko. 
Die Wolfstatzen sind immer noch da, schauen sich im Vortragsraum den Videofilm über Biologie und Verhalten von Walen an. Die britische Reiseleiterin drängelt etwas, sie haben nicht mehr Zeit, müssen zum Bus, schließlich wollen sie heute noch Ásbyrgi und Dettifoss abhaken. Die Gruppe ist jedoch anderer Meinung, sie möchten sich den  

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letzten Raum auch noch ansehen. Wir einigen uns auf 10 Minuten. Schade, dass in viele Pauschalreisen so wenig Zeit für das Museum eingeplant wird. Ich erläutere die Gefahren, den Wale ausgesetzt sind, bei weitem ist das nicht nur die Jagd. Fischerei, Netze, Lärm durch Militärversuche, Ölbohrungen, seismische Messungen, Boote, die Umweltverschmutzung sind alles Faktoren, die die Meeresriesen bedrohen.

Wer hätte das gedacht

Ja, wer hätte gedacht, dass ich einmal Touristen durch das Walmuseum von Húsavík führen würde? Vom Island-Virus befallen bin ich schon seit 1990, obwohl ich erst 1992 zum ersten Mal dort war. Im Jahr darauf, im Rahmen einer Rundreise, dann mein erster Besuch in Húsavík. In dieser Prä-Walbeobachtungszeit war die Hose noch ziemlich tot hier. Selbst die Fassade der heute so schmucke Kirche glich damals eher der blättrigen Außenschicht eines Croissants. Das sah bei meinem nächsten Húsavík-Besuch 1998 schon anders aus. Die Stadt hatte sich deutlich gemausert. Wegen Sturm wurde aus der geplanten Whale-Watching-Tour 
damals allerdings nichts. 1999 ein weiterer Besuch. Eine Freundin von mir machte - auf meinen Tipp hin – im Walmuseum ein Praktikum und ich besuchte sie. Ein Jahr später entschied ich mich, mit ihr gleich zu ziehen. Ziel der Aktion: 1. einmal etwas länger als die üblichen 2-3 Urlaubswochen in Island zu verbringen und damit endlich auch die Sprache eingehend üben zu können und 2. das Projekt "Walmuseum" zu unterstützen und damit einen Beitrag gegen die drohende 

Wiederaufnahme des Walfangs in Island zu leisten. Die meisten der ehrenamtlichen Helfer dort machen ein Praktikum während der vorlesungsfreien Zeit ihres Studiums oder schieben den Aufenthalt zwischen Schule und Studium oder Lehre ein. Für mich, da im fortgeschrittenen Alter und mitten im Berufsleben stehend, war die Sache mit nicht unerheblichen Aufwand verbunden. Im Sommer 2001 war es so weit, alle Vorbereitungen für 10 Wochen ehrenamtliche Tätigkeit in Húsavík waren getroffen, 2 Monate unbezahlten Urlaub genommen, alle Versicherungen usw. privat bezahlt, Auto verschifft. Die Unterkunft wurde gestellt. Außer mir waren noch weiter ehrenamtliche Helfer aus Deutschland und Frankreich sowie einige (nicht ehrenamtliche) aus Schweden, Finnland und Island beschäftigt. 
Es ist gerade wenig los und so schaue ich einmal nach den anderen im "neuen" Museum. Der ehemalige Schlachthof, der jahrzehntelang leer gestanden hatte, soll dem Museum mehr Platz für größere Skelette und vor allem mehr Besucher bieten. Beke und Saskia malen gerade die stilisierten Wale auf die Fassade aus. Die japanische Künstlerin Namiyo 

Kubo hatte das ca. 5 Meter hohe Kunstwerk skizziert, jetzt müssen die Vorgaben ausgemalt werden. Von außen sieht das Gebäude jetzt schon recht schön aus, aber innen gibt es noch viel zu tun. Ganz schön gammlig und heruntergekommen das alte Gemäuer. Kaum zu glauben, dass daraus mal ein Museum werden soll. Im folgenden Sommer (2002) konnte ich mich dann davon überzeugen, dass das Unmögliche möglich geworden war: ein absolut perfektes Museum, das Touristen wie Einheimischen mit modernen Mitteln die Faszination für die Meeresriesen und die Notwendigkeit ihres Schutzes näher bringt. Ein schönes Gefühl, dafür einen kleinen Beitrag geleistet zu haben.